flo":1qmcamir schrieb:
Da EDTA vermutlich kein Naturstoff ist denke ich ,dass es keine EDTA-spezialisierten Bakterien gibt, ...
Die Argumentation halte ich für kurzsichtig. Nicht weil etwas artifiziell erscheint muß es deshalb nicht-natürlich sein. Wohl extrem, aber dennoch für korrekter halte ich die Annahme das ALLES natürlich ist, selbst das vordergründig Artifizielle, da seine Entstehungs-Prinzipien im Natürlichen wurzeln.
Kurz : Es gibt nichts Unnatürliches!
Auch der Mensch mit seinem unnatürlichen Gebaren ist eine Untermenge alles Natürlichen und keine unabhängige Sondermenge. Und auch seine Atombombe und seine Flugzeuge und sein sonstiges "künstliches" Tralala sind letztlich natürliche Dinge da sie ein und derselben physikalischen Realität entspringen.
Maximal könnte etwas widernatürlich sein. Doch liegt Widernatürlichkeit ebenso wie Schönheit im Auge des Betrachters und ist somit Anschauung.
Zudem darf man einen Stoff nicht (nur) als Ganzes betrachten. Kein (normaler) Bagger frißt ein Haus an einem Stück. Ein Bagger bricht Teilmengen aus einem Haus, möglicherweise strategische um das Haus zum Zusammenbrechen zu bringen und es dann Schaufel für Schaufel von seinem ehemaligen Standort auf die Kipperladefläche zu bewegen ...
Das Sinnbild des Baggers entspricht den Enzymen welche von Organismen für die vielfältigsten Ab- und Aufbauprozesse genutzt werden. Eine Baustellenmaschinerie vom Bagger bis zum Kipper mit allem dazwischen entspräche einer Enzymkette.
Bestimmte Stoff- bzw. Bindungs-Konstellationen können für Bakterien welche mit dem entsprechenden Enzym-Werkzeugkasten ausgestattet sind, interessant, weil für sie angereifbar sein. Und das werden die dann auch machen. Enzyme und Enzymsysteme plus deren Induktion durch vorhandene Reize sind der Schlüssel dazu.
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Ich habe einige Texte herausgesucht in denen organische Komplexbildner abbauende Bakterien behandelt werden. Zu den jeweiligen Schriften habe ich nur ein paar Kernaussagen herausgeschrieben. Wer sich tatsächlich dafür interessiert wird die Texte selbst durchgehen ...
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Aus "Transport of EDTA into cells of the EDTAdegrading bacterial strain DSM 9103" :
- Die Assimilationsrate von EDTA und seiner Metallionen-Komplexe war am höchsten bei 4o° C. Bei 2o° C und bei 45° C ging sie auf die Hälfte zurück
- Im Falle von CaEDTA lag die Assimilationsrate am höchsten bei ph 7, betrug jedoch bei ph 5 immer noch 7o%.
- Unkomplexiertes EDTA oder die Mg-, Ba-, Ca-Komplexe wurden in annähernd ähnlichen Raten assimiliert. Bei MnEDTA ging sie auf 5o% zurück. Bei Anwesenheit anderer Metallkomplexe wurden diese nicht transportiert.
- Nur schwachgebundene Metallionen wie die o.g. Ca, Ba, Mg wurden in Komplexen transportiert. Die Autoren vermuteten deshalb daß lediglich reines EDTA transportiert wird. Dies würde bedeuten das die gebundenen Metallionen vor der Aufnahme des EDTA entbunden werden und dies z.B. bei stark gebundenem Fe nicht funktioniert und es aus diesem Grunde außen vor bleibt. Jedoch kamen die Autoren durch Versuche zu dem Schluß daß tatsächlich der Gesamtkomplex aufgenommen wird.
- In der Diskussion wird von den Autoren gesagt das eine hohe Wahrscheinlickeit für einen spezifischen energieabhängigen Aufnahmemechanismus für EDTA vorliegt. Der Transport scheint durch den Protonen-Gradienten angetrieben zu werden. Inwieweit ATP an der ganzen Sache beteiligt ist ließ sich aus den gewonnen Daten nicht herauslesen. Die Aufnahme verschiedender EDTA-Metallkomplexe hing stark von der Bindestärke des Metalls an das EDTA ab. Nur schwach gebundene Ionen wie zum Beispiel Ca wurden aufgenommen. Fe dagegen nicht.
- Daten über die EDTA-Gesamtzusammensetzung für den Schweizer Fluß "Glatt" wurden wie folgt angegeben : 31% Fe(III)EDTA, 30% ZnEDTA, 15% MnEDTA, 12% CaEDTA, 1o% NiEDTA, 2% PbEDTA and 0±5%CuEDTA. Demzufolge könnten EDTA abbauende Bakterien wie der Stamm BNC1 oder DSM 9103 nur ungefähr 3o% des vorhandenen Gesamt-EDTA abbauen.
- Es gibt in den Bakterien sehr wahrscheindlich einen Ausscheidemechanismus welcher Vergiftungen ob der aufgenommenen Menge EDTA gebundener Metallionen verhindert.
Quelle :
http://mic.sgmjournals.org/cgi/reprint/145/4/973.pdf
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Aus "Enthärter in modernen Wasch- und Reinigungsmitteln/ Umweltwirkungen des Komplexbildners EDTA und die Reinigung EDTA-haltiger Abwässer"
- Der Komplexbildner EDTA ist in der Natur und in konventionellen Kläranlagen nicht abbaubar.
- In vielen Oberflächengewässern ist EDTA die organische Substanz mit der höchsten Konzentration.
- Eine Verdopplung der Zellzahl der EDTA-Abbauer von 2o Std. wird angegeben. Das ist sehr langsam im Vergleich zu anderen schadstoffabbauenden Bakterien.
- Es wird angegeben das FE(III)EDTA nicht durch Bakterien abbaubar ist. Ca und Mg Komplexe dagegen sehr gut, bis vollständig.
- In einem soganannten Air-lift-Schlaufenreaktor wird deshalb Fe(III)EDTA zu CaEDTA umkomplexiert.
Quelle :
http://www.hh.schule.de/g19/fsumwelt/facharb/braun.pdf
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Aus "Biologischer Abbau der organischen Komplexbildner 1,3-Propylendiamintetraacetat (PDTA) und
Diethylentriaminpentaacetat (DTPA)"
- 3.1.1 Wachstum EDTA-verwertender Bakterien mit PDTA als Kohlenstoff- und Energiequelle Alle der neun untersuchten EDTA-verwertenden Bakterienisolate und die Mischkultur [7] vermochten auch mit PDTA als alleiniger Kohlen- und Stickstoffquelle zu wachsen. Für die weiteren Untersuchungen zum mikrobiellen Abbau von PDTA wurden Zellen des Stammes ANP11 verwendet, der sich in den orientierenden Vorversuchen als besonders geeignet erwiesen hatte.
- Zu der Vermutung, die Bakterien nähmen lieber Schnitzel als Knäckebrot zu sich :
3.1.2 Wachstum mit alternativen Kohlenstoff- und Stickstoffquellen
In Abwässern, die Aminopolycarbonsäuren enthalten, können unter Umständen auch noch weitere Kohlenstoff- und Stickstoffquellen vorhanden sein. Um abschätzen zu können, wie groß der Einfluss eines zusätzlichen Substrates auf den Abbau von PDTA ist, wurden exemplarische Untersuchungen für Glycerin als weitere C Quelle und Ammonium als alternative N-Quelle durchgeführt. Die Anwesenheit dieser zusätzlichen C- und N Quellen wirkte sich auf den PDTA-Abbau durch den Stamm ANP11 zunächst eher stimulierend aus. Nach ca. 40 Stunden war das im Ansatz vorhandene Glycerin vollständig umgesetzt, worauf die Abbaugeschwindigkeit für PDTA geringfügig abnahm. Eine grundsätzliche Beeinträchtigung des PDTA-Abbaus durch Glycerin sowie durch Ammonium als zusätzliche C-/N-Quelle zeigte sich hier jedoch nicht. Der Komplexbildner wurde im Vergleich zum Parallelansatz ohne Zusätze mit einer nur sehr geringen Verzögerung vollständig umgesetzt. Daher ist anzunehmen, dass der PDTA-Abbau durch den Primärverwerter ANP11 auch im technischen Einsatz nicht durch diese zusätzlichen C-/N-Quellen beeinträchtigt wird. Entsprechende Versuche mit weiteren für Photoabwässer relevanten C-/N-Quellen sind in Vorbereitung.
- Zu der Problematik EDTA und Fe(III) :
3.1.4 Einfluss von Metallionen auf den PDTA-Abbau durch den Stamm ANP11 Die Art des Metallions im Metall-PDTA-Komplex hat einen entscheidenden Einfluss auf die Abbaubarkeit von PDTA durch Ruhezellen des Stammes ANP11. In Abwässern der Fotoindustrie fällt PDTA in erster Linie als Eisen(III)-Chelat an. Versuche zum Abbau von verschiedenen Metall-EDTA-Komplexen haben gezeigt, dass der entsprechende Eisenkomplex des EDTA durch den Stamm BNC1 nicht abgebaut wird [11]. Im Gegensatz dazu kann Eisen(III)PDTA durch ANP11 umgesetzt werden (s. Abb. 2). Mit der höchsten maximalen Abbaugeschwindigkeit wird das freie PDTA umgesetzt, die Umsatzrate für das Eisen(III)-PDTA ist nur geringfügig niedriger (Tab. 1). Alle weiteren getesteten Schwermetalle werden im Vergleich dazu mit einer nur sehr geringen Rate umgesetzt. Ein direkter Zusammenhang zwischen niedrigen Abbauraten und hoher Komplexbildungskonstante wie für EDTA konnte für PDTA nicht festgestellt werden.
Quelle :
http://www.dechema.de/dechema_media/Dow ... -p-655.pdf
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Zusammenfassung :
- Es gibt dedizierte "Chelatefresser".
- Es gibt eine Affinität des jeweiligen Enzymsystems des Bakteriums zu den unterschiedlichen Komplexbildnern und dieses Enzymsystem ist durch das Vorhandensein des entsprechenden Komplexbildners induzierbar.
- Die Wachstumsrate der Chelatefresser ist langsam. Viel langsamer als die "normaler" Bakterien.
- Kläranlagen, welche mit meist jungen Schlämmen arbeiten, können EDTA , vor allem Fe(III)EDTA nicht abbauen. (Wegen der geringen Teilungsraten der Chelatefresser können diese keine wirkungsvollen Populationen aufbauen). Jedoch kann Fe(III)PDTA durch ANP11 abgebaut werden. Umwelttechnisch sollte also PDTA gegenüber EDTA der Vorzug gegeben werden, da eine Umkomplexierung zu CaEDTA nicht mehr erforderlich wäre.
- In alten Schlämmen steigt die EDTA Abbaufähigkeit mit dem Alter des Schlammes. Dies deckt sich mit Aussagen von Dr. Gerd Kassebeer bzgl. alten Mulmes und alten Schlammes in Aquarien.
- Die Chelatfresser fressen Chelate unabhängig von alternativen und einfacher zu verarbeitenden C- und N-Quellen welche zeitgleich vorhanden sind.
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Daraus ergeben sich Folgerungen und Fragen :
1. Ein biologisch junges Aquarium sollte wenig Chelatefresser beheimaten. Ein altes Aquarium dagegen seinem Reifgrad entsprechend mehr. Ein quantitative Steigerung liegt dann in zusätzlichen alten Mulmmengen und zwangsdurchströmten Zusatzflächen oder alten Kiesböden.
2. Die Chelatfresser sind nicht in der Lage Fe(III)EDTA zu verarbeiten. Sehr wohl aber Mg- und Ca-Chelate.
Fragen :
Was gschieht mit dem ganzen Fe(III)Chelat welches jemand tagtäglich mit seinem Spurenelemente Dünger in´s (biologisch junge) Becken kippt? Wie gelangen die Pflanzen an das komplexierte Fe wo die obigen Schriften gemeinsam eine praktische Unfähigkeit den Bakterien gegenüber diesen starkgebundenen Metallionen bescheinigt haben. Zumindest was den Komplexbildner EDTA angeht.
Möglichkeit 1 : Der Chelatkomplex wird durch Licht mehr oder weniger schnell aufgespalten. Eisen würde ausfallen und sich auf den Filterflächen, im Boden und nur teilweise auf den Pflanzenoberflächen (Blattdüngung) sammeln. Freigewordenes EDTA würde sich dann was anderes krallen oder ist es so das EDTA durch Licht gänzlich zerstört wird oder nur durch UV? Denn würde der Komplex gespalten und beide Parteien würden intakt bleiben, so müßten sie sich ja kurz darauf wieder vereinigen und das Spielchen ginge von vorn los ...
Das muß ich noch rausfinden.
Möglichkeit 2 : Pflanzen können EDTA-Komplexe komplett aufnehmen. Was geschieht dann in der Pflanze mit dem EDTA? Wenn es nicht in Gänze und als freies EDTA wieder ausgestoßen würde, so täte es in der Pflanze verarbeitet werden. Wasserpflanzen würden also EDTA-Abbauorganismen sein. Davon habe ich in der Literatur nichts gefunden. Und es würde die Umweltproblematik der organischen Komplexbildner doch entschärfen und sollte somit Erwähnung finden !?
Stießen sie das EDTA jedoch wieder aus, so wäre es frei für eine neue Bindung und würde diese sicher auch schnell eingehen. Somit würde eine bestimmte Menge Metall im Becken immer in Lösung gehalten werden und EDTA würde zudem im Becken je nach Wasserwechselintensität akkumulieren. Warum klagt man dann aber immer über Ausfällungen oder das Verschwinden der lieben Spurenelemente? Wo bleibt das in der Natur so problematische, weil kaum abbaubare EDTA im Aquarium?
Ingo